Wenn du nach dem Motto „Aufgeben ist keine Option“ lebst, dann schau doch einmal in deine Projekte-Schublade …
Ich bin ziemlich sicher, dass du so eine Schublade hast, oder? Ja, das traue ich mich zu behaupten.
Denn vor einigen Jahren habe ich in meiner Facebook-Gruppe eine Umfrage darüber gemacht, was denn so in den Augen der TeilnehmerInnen bei ihnen „offene Enden“ sind.
Und was ich eigentlich nicht erwartet – aber geahnt – hatte, war, dass es genau diese offenen Projekte sind, die besonders drücken, schau einmal:
Die Frage, die sich stellt, ist auf der einen Seite, was du dagegen tun kannst (über das Thema Planung für Solopreneure gibt’s ja schon etliche Artikel hier am Blog), aber eine ganz andere Überlegung treibt mich zu diesem Artikel. Auch aus persönlicher Erfahrung mit unbeendeten Projekten, wie du später lesen wirst.
Nämlich die Überlegung, was so offene Enden oder Vorhaben, wie es in der Umfrage auch genannt wurde, mit dir anstellen.
Darum geht's hier:
Das 90%-Syndrom
Was klingt für dich besser: „Fast fertig“ oder „angefangen“?
Natürlich „fast fertig“. Die Krux dabei ist nur, dass dich das emotional in einer trügerischen Sicherheit wiegt.
Denn wenn du das Gefühl hast, dass du schon zu 90 % mit deinem Projekt durch bist und nur mehr ein paar Kleinigkeiten fehlen, dann ist das so ähnlich wie beim Parkinsonschen Gesetz.
Die ersten 90 % sind eigentlich recht flott gegangen, aber diese verflixten letzten 10 % kosten dich die meiste Energie.
Oft sehe ich auch bei meinen Kunden, dass diese trügerische Sicherheit daher kommt, dass sie zwar die einzelnen Schritte im Projekt aufzählen, aber nicht abschätzen, wie lange jede einzelne Aufgabe dauert.
Dann sind irgendwann 8 von 10 Aufgaben erledigt – siehe trügerische Sicherheit – allerdings bedenken sie nicht, dass die letzten beiden Aufgaben vielleicht besonders anspruchsvoll sind. Egal, ob in Bezug auf Zeitaufwand, Lernkurve oder Technik.
Und dann ist die Luft raus.
Diese letzten Schritte fühlen sich soooo schwer an, dass du lieber auf ein anderes Projekt umschwenkst. Eines, das subjektiv „ganz schnell“ erledigt ist. Bis du wieder bei den 80 – 90 % angekommen bist.
Die Podcast-Episode zum Artikel
Danke fürs Zuhören!
Wenn dir diese Episode gefallen hat, freue ich mich über ein paar Zeilen und Sternchen auf iTunes von dir!
Was lösen diese unfertigen Projekte bei dir aus?
Nichts Positives, das ist sicher.
Du hast permanent ein schlechtes Gewissen
Du hast dir etwas vorgenommen.
Vielleicht ist auch der Spruch „Was du angefangen hast, mach‘ auch fertig!“ im Hinterkopf gespeichert. Den kenne ich sehr gut aus meiner Kindheit, meine Eltern haben das immer gesagt. Sehr liebevoll, aber doch.
Dabei gibt es einwandfreie Gründe auch einmal vom toten Pferd abzusteigen, selbst wenn du die 90 % schon erreicht hast!
Wie auch immer, es macht ein schlechtes Gewissen, wenn du dir etwas vorgenommen, aber nicht getan hast. Das gilt für Neujahrs-Vorsätze genauso wie eben auch für Projekte.
Ein schlechtes Gewissen zu haben, da hängt aber auch Scham dran. Und beides sind die destruktivsten Gefühle und Gedanken, die du haben kannst!
Mit Angst („Was passiert Schlimmes, wenn …“) kannst du vielleicht proaktiv umgehen. Aber dieses schlechte Gewissen knabbert ständig im Hintergrund an dir, da kannst du dir noch so oft selbst erzählen, dass „das nicht notwendig ist“.
Dein Selbstbewusstsein leidet darunter
Es knabbert auch an deinem Selbstbewusstsein.
Wieso schaffe ich das nicht? Bin ich unfähig? Habe ich keine Selbstdisziplin? Werde ich jemals Erfolg haben, mit dem, was ich tue, wenn ich das nicht schaffe?
Diese oder ähnliche Gedanken können dich heftig ausbremsen und auch für zukünftige Projekte schon die falschen Weichen stellen. Denn wer weiß, ob du das nächste Projekt nicht auch versemmelst?
Der (Trug)Schluss ist ganz logisch: Wenn du A nicht schaffst, wieso sollte dann B klappen? Das führt bei meinen KundInnen z.B. oft zum Freebie-Hopping.
Sie erstellen ein gratis Angebot, stellen es auf ihrer Homepage zur Verfügung (jetzt sind die 90 % übrigens erreicht!) und lassen die letzten Schritte, nämlich das Vermarkten ihres Angebots aus. Das passiert übrigens nicht nur bei kostenlosen Produkten …
Wenn sie dann nicht in kürzester Zeit von neuen Newsletter-Eintragungen oder KundInnen überschwemmt werden, gibt’s zwei Möglichkeiten.
- Sie denken, dass sie das falsche Angebot erstellt haben und stürzen sich auf das nächste („Hopp!“).
- Sie denken, dass sie „unfähig“ sind, das richtige Angebot zu erstellen und beginnen ganz heftig an sich zu zweifeln.
Du machst dir immer mehr Druck
Der Druck steigt mit jedem unfertigen Projekt. Und da spreche ich wirklich auch aus eigener Erfahrung.
Ich hatte vor einigen Jahren z.B. die Idee, einen Kurs zum Programm PhraseExpress zu erstellen.
Die Landingpage war fertig. Interessenten hatten sich bereits eingetragen. Die Kurs-Struktur war fein säuberlich in einem Trello-Board festgehalten. Ich hielt sogar ein Webinar dazu ab, um zu schauen, wie hoch das Interesse daran ist.
Und dann ging nichts mehr.
Der Druck, endlich damit anzufangen, wurde immer größer und die Lust darauf immer kleiner. Bis ich die Reißleine gezogen habe und die Entscheidung traf, diesen Kurs nicht zu machen.
Übrigens erst ca. 1 1/2 Jahre nachdem ich ihn geplant hatte.
Aus dem Nähkästchen geplaudert: Das Kartenset
Anfang 2021 war die Idee geboren, ich hatte Lust darauf, ein Produkt zum Angreifen zu erstellen, nämlich ein Kartenset für dein Selbstmanagement im Home-Office.
Was hab‚ ich nicht gebrannt für dieses Projekt!
- Einen alten Onlinekurs ausgegraben, in dem erklärt wird, was alles zu so einem Kartenset dazugehört.
- Eine Designerin engagiert und mit ihr das Layout entwickelt.
- Tipps, die passen können, gesammelt.
Und dann war’s plötzlich vorbei.
Einerseits natürlich dadurch, dass ich den Content-Planungs-Club ins Leben gerufen habe, das hat viel Zeit verschlungen, andererseits war das aber vielleicht auch nur eine Ausrede …
Warum?
Das konnte ich lange Zeit gar nicht genau benennen. „Eigentlich“ ist alles bereit. Das Layout der Karten ist toll, die Kategorien sind bereit, die Icons dafür sind der Hammer, die Texte sind grob geplant (ich hab‘ ja inzwischen genug Content in meinen Archiven).
Und nach einem halben Jahr wollte ich eigentlich dem ständig schlechten Gewissen und Druck ausweichen, indem ich allen, die sich auf die Interessenten-Liste eingetragen haben, schreibe: „Projekt gestorben, wird nix„.
Wenn da nicht die Gegenwehr meiner „Mädels“ aus Home-sweet-Office wäre und mehrere Gespräche darüber, was mich denn davon abhält, das Projekt zu Ende zu bringen.
Was du gegen diese schlechten Gefühle tun kannst
Abseits von „ignorieren“ finde ich es immer spannend, ein bisserl genauer hinzuschauen und an diesen Stolpersteinen zu wachsen.
Mach dir die ehrlichen Gründe klar
Das ist, glaube ich, die schwierigste Aufgabe. Weil es so schwer ist, eine Ausrede von einem triftigen Grund oder Argument abzugrenzen.
Zuerst war für mich beim Kartenset der offensichtliche Grund die fehlende Zeit durch den Start des Content-Planungs-Clubs. Allerdings ist der natürlich irgendwann, als der Club zu laufen begann, kleiner und unwichtiger geworden.
Durch viele Gespräche ist mir dann klar geworden: Das ist ein Offline-Projekt!
Verlange von mir, ein Online-Produkt zu erstellen und ich weiß genau, was in welcher Reihenfolge wie zu passieren hat. Das mache ich jetzt seit vielen Jahren.
Aber etwas Gedrucktes? ISBN-Nummer beantragen? Mit Amazon-Verkauf beschäftigen? Druckerei?
Oooooh, Himmel, das macht mir wirklich Angst!
Das fiel mir echt wie Schuppen von den Augen, als meine Mädels aus Home-sweet-Office nicht lockergelassen haben! Und damit ist der Weg frei für die nächsten Schritte.
Es sind nur Geschichten, die du dir erzählst
In dem Moment, in dem du die Geschichten erkennst, die du dir erzählst, warum du in deinem Projekt nicht weiterkommst, öffnen sich Chancen für dich.
Mach dir klar, dass es eben nur Geschichten sind. Du musst sie nicht glauben. Sie müssen nicht stimmen (das tun sie übrigens zu 100 % nicht …).
Inzwischen habe ich viele der Geschichten, die ich mir so erzähle, ganz gut im Griff, aber wie du dir vorstellen kannst, bei meinem Kartenset nicht. Erst als mir klar wurde, was ich mir da eigentlich erzähle, kam der Umschwung.
Ich habe den Druck rausgenommen.
(Wenn du dich mit diesem Denk-Konzept näher befassen möchtest, schau bei meiner lieben Freundin und Coach Silvia Chytil vorbei!)
Nimm den Druck raus
OK, du hast dir etwas vorgenommen.
Und du hast vielleicht sogar alles durchgeplant, einen Zeitpunkt veröffentlicht, wann du fertig sein willst – und es klappt nicht.
Du hast herausgefunden, was die wahren Geschichten sind, die du dir erzählst.
Damit kannst du den Druck rausnehmen!
Ich habe z.B. beschlossen, dass ich nicht den InteressentInnen für das Kartenset schreibe „Das Projekt verzögert sich, aber bis spätestens …“. Also keinen neuen Termin gesetzt, wann es fertig sein wird.
Keine neuen Erwartungen geweckt. Weder bei ihnen, noch bei mir.
Mein Kartenset ist ein Free-Flow-Projekt geworden, an dem ich arbeite (ja, tue ich!), wenn ich Lust darauf habe.
Den Druck, mich mit all den Offline-Produktions-Aufgaben, die ich so überhaupt nicht mag, zu beschäftigen, habe ich auch herausgenommen. Sobald die Karten im Entwurf fertig sind, suche ich mir jemanden, der alles Weitere für mich übernimmt.
Falls du übrigens so jemand bist, melde dich bitte bei mir !
Triff Entscheidungen!
Um aus diesem Kreislauf auszusteigen, hilft in meinen Augen nur eines: eine klare Entscheidung.
Es ist ganz egal, welche Entscheidung du triffst. Und du wirst auch in dem Moment nicht wissen, ob es die richtige ist.
Egal.
Aber durch deine Entscheidung wirst du diese unangenehmen Gefühle los und bist bereit, weiterzumachen. Was auch immer!
PS: Und nicht vergessen: Bleib neugierig!
Liebe Claudia, du triffst den Nagel auf den Kopf. Sowas von. Kannst du meine Gedanken lesen? Einige 90% fertige Kundenprojekte rauben mir den Schlaf. Es wird Zeit, zu hinterfragen was noch fehlt, wie viel Aufwand das ist, und diese Projekte zu beenden. Mir fällt zu dem Thema auch ein, was eine Therapeutin einmal aus der Sicht der „Gestalttherapie“ gesagt hat: Ein offenes Projekt ist wie eine offene Tür. Es fließt Energie ab. Schließ die Tür, auf die eine (Fertigmachen) oder andere (das Projekt aufgeben) Weise. Ich mache mich gleich an die Fertigstellung des ersten derartigen Projekts! Liebe Grüße, Gabi
Liebe Gabi,
das ist ein tolles Bild mit der offenen Türe, vielen Dank dafür! Und du warst ja auch an den Überzeugungen, das Kartenset nicht aufzugeben, beteiligt ;-), danke auch dafür!
Liebe Grüße
Claudia